#01

 

 

 

  

 

 

 

blutroter engel des wortes, ich-schnittstelle im fadenkreuz, kein kaffee mehr, ich weiß, es wird schwierig sein, weil sie dich sehen werden, das war immer schon so, die tasse ist die welt, nur in grau, wenn man genau hinhört, wird man sie sehen, die bruchstelle, an der welt in grau, wie mein gehirn, in der tasse, jetzt, ein brauner fahler blick, der geruch klebt an der sohle, sie ist der weg durch die grauzone, ich kann sie nicht überqueren, darum tu ich es, weil ich nicht kann, aber ich bin immer noch dort, mein leib ist der eintrittsort in den asphalt, er kriecht in meine fußsohle, ich kann es riechen, ich kann es riechen, der sinn bleibt, die verhaftung kommt später, später wird er mich aufsuchen, der sinn in meiner bauchhöhle, ein rest der spur, die zu dir führt, übrigkeiten, die die welt durchziehen, bis zu deiner welt, ich trinke mein gehirn aus der rechten hämisphäre des weltorganells, er ist braun, der himmel, er ist braun, du hattest unrecht, es war nicht das erste wort, es wird niemals das erste wort gewesen sein, die dinge beginnen nicht, sie sind immer schon ihr ende, dort wird man es finden, das wort und seinen leichnam, an der schnittstelle, ausgehölt, du irrst dich, es wird sich den anfang nehmen, wie es sich einst das leben genommen hat, da wird es beginnen. es gibt keine frage der zeit.

 

 

 

 

#02

 

 

kein schlaf in der nähe, der hat sich verspätet. das zimmer besteht aus einer gestreiften fantasie, die sie mir in den schädel tapeziert haben. wenn man den nachthimmel befragt hört man nur das eigelb der straßenlaterne auf der anderen seite meiner betthälfte. vermutlich ist der nächste tag schon angebrochen. ein kleiner luftschwarm klammert sich nässelnd an mein laken. das schon ganz wundgelegen ist vom unruhigen rest des tages und vom rest der kommende tage, die sich in mir bedeckt halten.

 

 

 

 

#03

 

 

anfänglich dachte ich, es wäre dein körper gewesen, den ich zu gesicht bekommen hätte. und nun liegt außer einer stillen vermutung nichts mehr im maum. man hat ihn von außen verschlossen, um sich der tatsache zu verwehren, dass du dir daraus nichts mehr machen wirst. denn es wird dir recht sein, auf der anderen seite angekommen zu sein, auf der seite des einen blauen wortes, das so wie du, jede sprachlosigkeit der klarheit vorzieht und dennoch nichts klarer hättest sagen können, als eben diese eine sache. meine finger übersetzen den umstand, dass sich nichts mehr sagen lässt und tasten nach deiner grenze, die sich mir entzieht. du hast sie mitgenommen auf deine reise und lässt mich hier an deiner silhouette zurück. sie ist der behutsame verweis auf deine stille, die nun als einziger raum zurück bleibt. davon, was außerhalb geschieht, hoffe ich eines tages notiz zu nehmen, doch außerhalb von mir ist wohl nichts, nicht einmal die verwirrung geblieben. ich bin hier also im letzten raum der zeit, der uns berührt, und warte, und warte, und warte noch einmal.

 

 

 

 

#04

 

 

da wollte ich mich zurückhalten, und versuchen nicht zu schreiben, dich nicht anzuschreiben, weil ich nicht bei dir einbrechen wollte, du hättest ja seelisch völlig nackt und auf dich selbst zurückgeworfen in die wenigen zeilen starren können, die sich so unverschämt in deine erinnerung setzten. sollte ich dir das zumuten, sitzt du denn überhaupt gut? aber ich habe die überlegungen beim eintreten in meinen email account abgelegt und nur ein paar wenige hoffnungen zurückbehalten. also hoffentlich geht es dir gut, wäre eine solche, oder bist du wirklich so weit weg, hoffentlich nicht zu weit, vor allem nicht von dir selbst, das wäre eine andere gewesen. ich habe aufgehört mir umstände zu machen, beim zählen der schuhbänder morgens um neun, beim zuknöpfen der kaffemaschine kurz vor dem austritt in den aufzug, der sich behäbig in ein vertikales draußen drückt, das immer näher kommt, auch wenn es es längst schon wieder im begriff ist stehen zu bleiben. diesmal genau zwischen erdgeschoß und mezzanin, also eben zwischen dem austritt und der wahrscheinlichkeit des eintretens in die welt. ein umkehrschub. ich trete schon wieder auf der stelle, obwohl genau hier ein tag beginnen hätte können. ich trete also aus gefolgt von einem kräftiger ruck an der aufzugtür, die es zunächst widerspenstig, aber zuletzt voller hingebung gegen die überaltete innenverkleidung des jahrhundertwendehauses schleudert, und mit ihr, einen teil meiner überlegungen zu notwendigen pflichten des heutigen tages auffliegen lässt, und nun sanft aus dem mächtigen gemäuer auf den fußboden rieseln. ich zerre meinen leib aus der holzigen kabine, wische mir den trotz aus den mundwinkeln und öffne die haustüre. eine verkehrte welt schwemmt mir in die arme. 

 

 

 

 

#05

 

 

die welt überschlägt sich, und erschlägt sich an mir, am hüpfenden pol meines herzens, die nacht krümmt die welt und presst sie in runde gedanken, perlenmond meines antlitz, ich schmecke den südwind des lichts, der nebel bricht den raum in die kehrseite des raumes, der tropfen durchtränkt und fällt durch das außen, und fällt durch sich hindurch, in den gedanken, und tropft an mein gemüt, bis er ertrinkt, am schlagwort der welt.

 

 

 

 

#06

 

 

schräge ränder, eine fensterscheibe, mein kehlkopf aus glas, heftige flecken im gittergesträuch, unterhalb meines nagelbetts, es tropft verkrustet, am äußeren kanal, bis zur wurzel, sie flattert, und kommt zur ruhe, im nebel, die kruste, sie glitzert ein wenig, aber nur kurz, dann zuckt der himmel in sich zusammen, mit buntem gelächter, ich schlucke, der vorletzte augenblick, er hat mich gerettet, es regnet.

 

 

 

#07

 

 

recht is´, hat der vater gesagt. vater unser, was bist du nur für ein schlingel, hat er gesagt. die schlinge hängt, hängt rein und raus, von der decke in die möglichkeit. das gehänge bittet zum anstoß. drinnen stößt sich’s anders. es drückt auf die luftröhre. hör genau hin mein kind. die luft ist dünner da oben im flugraum des geistes, aber sie ist auch schneidiger, du musst nur den anorak enger schnüren, wie das höschen um das möschen, oder die schlinge, du schlingerl. so ist´s fein für die atemwege. die luft wird dir gut tun. bis es dir die sprache verschlägt. dein rinnsal springt von der decke, nur der zustrom fehlt noch. sonst ist alles da. aber der geist hat sich verspätet. und die kunst, die füllt sich wunderbar, überlaufen darf´s nur nicht. am besten krallst du dich in das lüftchen, wenn der verstand flügge wird. doch für den höhepunkt hat´s nicht gereicht? und gott, nein, gott fickt nicht mehr, der hat sich zu tode vibriert, aber die strümpfe hängen immer noch um seinen hals.

 

 

 

 

#08

 

 

fisch fischt. frei um null. rausch um rausch. aalt welt um rund. kommt bunt um bunt. kommt welt um rund. der fische gold. der fische goldner grund.

 

 

 

 

#09

 

 

brennende narben am horizont. durchtränkt von stille. am ufer des hades. silhuetten durchstoßen vom dunstkreis der körper. jenseits der ferne. entsprungen. die quelle an ranken-umwobenen zielen verdichteter freiheit. so grenzenlos nah. am atem der zukunft. der letzte tanz.

 

 

 

 

#10

 

 

du hast gesagt. ich müsse nur hinausgehen und wollen. denn das würde ausreichen. jemand wie ich lebe doch ohnedies davon aus dem wollen zu schöpfen. voll bis an den rand. voll bis an den rand mit »können«. dass es mir nur so herausquillt aus dem wollen. also was machst du noch hier. hast du gesagt. was machst du noch hier bei mir. sie warten auf dich. »ich« nicht. ich habe nie auf dich gewartet. aber »sie«. »sie« warten auf dich. sie warten nur darauf. von deinem wollen überrollt zu werden. willentlich und vollautomatisch. nach reih und glied. du ziehst eine nummer. du 0. da ist doch nichts dabei. es ist »die« nummer. die »eine« große nummer. die du je geschoben haben wirst. oder gezogen. vorgezogen. denn am besten warst du schon da. bevor sich der zug in bewegung gesetzt haben wird. die zahl verspricht. dass sie irgend wann einmal zahlen. zahlen müssen. zahlen sollen. denn irgend jemand wird immer zahlen. aber das weisst du noch nicht. du weisst noch nicht. dass ich es sein werden. 1.2.3 nummer 506. diesmal. diesmal hat sich das warten gelohnt. es lohnt sich wirklich. denn jetzt bin ich an der reihe. eingereiht bis an das bittere ende. je höher die zahl. desto weniger macht es sich bezahlt. aber es lohnt sich. das hattest du mir versprochen. du hattest mir versprochen. dass deine meinung zu diesem thema sich lohnen würde. sich meiner versichern würde. zumindest. jetzt ist es sicher. mindestens sicher. mindersicherung. ja. sicher. sicher bis sie durchbrennt. ausbrennt. verbrennt. burn out. bore out. sore out. hauptsache versichert. und die wollenden sind ihnen da am liebsten. denn die sind hart im nehmen. die nehmen alles. die lassen sich gut hart nehmen. von »hinten«. denn da sind sie willig. arbeitswillig. »hinter« ihnen liegt nämlich das wissen. das harte erbarmungslose wissen. dass sie als abservierte bildungsprodukte es längst nötiger haben keinen aufstand zu machen. no service. no service @ all. @ all. pauschal. dafür aber ständig einen notstand. ständig. auf-not-stand. aber das macht nichts. der lässt sich sowieso leichter beantragen. wer ficken will muss eben freundlich sein. das hätte ich vielleicht von dir lernen können. siehst du. aber das weiß das wissen von gestern bereits. es ist ein leichtes mädchen. nichts will das wissen lieber als sich gebraucht fühlen. oder füllen. ja. genau. füllen. fühlen. fill me. feel me.

 

 

 

 

 

#11

 

 

nur zögerlich gelang es den wipfeln einiger alter tannen über das letzte aufbegehren der erde hinwegzuragen. der nebel in der ferne ließ eine zarte ahnung an verwaisten baumresten durchscheinen, bevor die dichte der aussichtslosigkeit, wie ein korsett an den hügeln, jeden blick verschnüren sollte. k´s aussicht auf den nebulosen horizont schien ebenso deren los, wie die täuschend barrierefreie panoramaaussicht in der vordersten reihe des ruheraumes. pauschal ließe sich sagen, dass eine preisvergünstigte frontalbeurlaubung im schneeberghof, nächst dem berg, mit einem platz in der ersten reihe auf dem parkett der wiiener theaterbühnen zu vergleichen wäre. hier das versiegelte parkett zur praktischen ruhelage, ein kläglicher versuch mehr zu versprechen, als die bekömmliche stille des naturechten gegenübers leisten konnte. dort der ruhelose drang des schauspiels, bisweilen mit der notdurft, bewegung als etwas anderes zu verkaufen, als sie tatsächlich zeigte. zwar spielt sich hier etwas ab, wollen sie sagen, aber eben nicht dort, wo sie es zu sehen vermuten. wir treiben euch über die körper hinaus in das ruhelose bild. bitte lassen sie sich daher nicht täuschen, wir sind längst zu einem malerischen sinnbild unserer selbst emporgestiegen. nehmen sie sich ein beispiel am schneeberg, der hat es zu etwas gebracht. man sieht sich vor das stille schauspiel gestellt, das sich anständig in die besonnenheit wirft und k sich regungslos vor erholungssucht rücklings gegen die lehnen deren liegestuhls. gesagt ist damit natürlich noch nichts.

 

das bühnenbild ist eben ein anderes, hier vor dem schneeberg. im tumult der theatralischen bewegungen hingegen rühmt sich ein verdächtiger trick. seht her, wir sind die gaukelnde vision einer geschichte, die sich erzählen muss, ob ihr wollt oder nicht. der körper ist eben keine bergkette, er ist eine gewircksformation. es gibt hier nichts zu bedeuten, geschweige denn zu sehen, aber zu imaginieren, wenn sie sich lange genug vorantreiben. die tänzelnden kleinen körper, da vorne auf dem parkett der tiefgründigkeit, ließen sich ebenso sorgfältig zwischen k´s erwartung und deren kleine vision schieben, wie die massive plexiglaswand zwischen den ruheraum des wellnesareals und die ungenierte idylle draußen in der landschaft. da dürften die vitrinen der schaulust wieder einmal zur rechten zeit geöffnet worden sein. nur hoch mit dem verschlag, wie mit dem vorhang, ab mit dem ersten aufzug und hinauf in den vierten stock. der berg ist schon oben, aber der blick ist dunstig geworden. beschlag an der aussichtsfront aus glass und nebel an der. vorderseite des schneebergs, trafen sich mit aller belanglosigkeit zwischen k´s kläglichen anspruch auf durchblick durch das naturgeschick, in der ferne, wo es etwas kälter war als hier, und dem sich zudringlich ankündigenden hunger an der innenseite deren verdauungstraktes. also abermals hinein in den aufzug und runter mit dem zweiten akt, aber hinauf auf das höhere niveau. der tee ist bereits angerichtet, der schneeberg übrigens auch. von hier war der schleier etwas freundlicher. k erinnert sich, der austritt in die erholung war schon lange geplant gewesen, aber niemals anständig in angriff genommen worden. ein seitensprung in das ländliche vorortdomizil schien diesmal aber endlich greifbar. k hatte alles sorgfältig zu- und vorbereitet. denn weiter als bis zum Schneeberg hätte k es ohnedies nicht gebracht. also nur zu, wieso auch nicht, man musste sich vor dem Schneeberg nicht fürchten, immerhin konnte man ihn von wien aus sehen. man versicherte k, dass dieses umgängliche stückchen natur schon immer hier gewesen sei und sich niemandem je mehr aufgedrängt hätte, als bis zu dem panoramaguckloch in deren hotelzimmer. dieser gedanke war beruhigend.

 

und dennoch, beim folgenden spaziergang eröffnete der anblick einer plakatserie, rechts von der einfahrt zur gemäßigten bergbesteigung ein sonderbares unbehagen. »junge kraftfür die heimat« brüllten die abziehbilder in blau gegen die felsvorsprünge des hinterlandes. der abgestande ausdruck eines mannsbildes erweckte den aufkommenden verdacht, dass dieser bereits vor 65 jahren einen gewichtigen beitrag zur jugendkultur in puchberg geleistet haben hätte können. »aber natürlich werte gäste, die sind auch schon immer da gewesen, wie die natur der dinge, man hat nur vergessen sie abzunehmen. aber machen sie sich keinen kopf, die jugend ist eben immer jung gewesen, auch damals. und heutzutage lässt es sich noch billiger jung sein. hier sehen sie die jüngsten und billigsten reproduktionsverfahren, wenn sie erfrischt beworben und auf dem neuesten erholungstand unserer feinen heimat sein wollen. alles ist greifbar und um diesen preis selbstverständlich vergriffen«. k hatte begriffen, aber nichts mehr im griff. die erholung dürfte sich also eingeschlichen haben. es hätte auch schlimmer kommen können. der fußmarsch durch das milde landschaftsbildnis war nicht annähernd so beschwerlich gewesen, wie der weg dahin. der asphaltparkplatz vor dem schneeberghof mündete einstweilen sittsam und schräg in das angrenzende grün, ebenso beiläufig, wie die morgendlichen sonnenstrahlen in das hysterische zittern der äste einiger bäume. mathematisch gesehen konnte man annehmen, dass heute nicht von einer überschneidung der schräglagen auszugehen war. dabei wünschte sich k im grunde nichts weiter mehr, als sich wieder einmal ordentlich flachzulegen, hier im grünen, oder auf dem etwas raueren betonvorbau. gegen eine horizontale perspektive auf die ereignisse der vergangenen monate hatte k durchwegs nichts einzuwenden. andereseits, wenn einem zu morgendlicher stunde das politische naturschauspiel in schräger manier begegnete, dürfte mit einem geradlinigen donnerstag nicht zu rechnen sein. vielleicht war es also doch angebracht, die eigenen neigungen zu überdenken. dies sollte zwar nichts an dem 30 grad gefälle zur einfahrt in die garage und bisweilen wenig an der Bewegtheit der baumkronen ändern, wohl aber an k´s motiven für eine weitere erkundung der umgebung. dabei viel k der letzte brief an einer verehrten professorin ein, die sie in jugendlicher naivität einst zu einem bekömmlichen spaziergang in der praterau eingeladen hatte.

 

selbstverständlich wurden k´s erwartungen nicht erfüllt, ebenso wenig wie die hoffnung auf ein paar worte, die k sorgsam hätte pflügen und beackern wollen. man musste doch froh sein, wenn man überhaupt etwas zu hören bekam. »sind sie gut zu hause angekommen? gelegentlich verläuft man sich ja in gedanken und kommt an sonderbaren orten zu sich. also ich bin noch hier, in wien, aber glücklicherweise vergesse ich manchmal darauf, auf wien und den Ort, der sich darin auftut. zu meiner beruhigung habe ich kürzlich festgestellt, dass mein computer überseeländerin ist, eingeflogen sozusagen aus dem draußen, das nur mehr auf der rechnung daran erinnert, aber immerhin ein draußen gewesen ist. das weiteste hier im umfeld von 120 m2, das muss ich zugeben. was halten sie also von einem spaziergang, wenn sie wieder hier sind, ich erinnere mich, sie spazieren gerne. da hätte ich einen dieser spaziergänge anzubieten, sie wissen schon, diese art von spaziergängen bei denen man für einige stunden, kaugummi kauend und zigaretten verschlingend, die urbanenrecycling naturdomizile besteigt, um sich selbst vor dem verdacht zu schützen, man hätte keinen sinn für das schöne der natur. daher nur munter drauf los und ordentlich hinein in den prater, und durch die allee, auf das pflaster der disziplinierten Erholung. Ich würde sagen, da geht sich´s ganz gut und auch fleißig dahin. die praterallee eignet sich für solche anfälle ausgezeichnet. sie müssen wissen, kein ort macht einem das denken leichter, als eine von naturartefakten eingewickelte und gepflasterte linie ins nichts. da lässt sich die nähe der erhabenen naturreste noch lustvoll inhalieren. zug für zug, zigarette für zigarette, gedankenschleife für gedankenschleife. wüsste ich nicht aus erfahrung, dass sich das denken in wellen anpirscht, so könnte die geradlinigkeit eines solchen vorhabens mitunter ein sonderbares licht auf mich werfen.

 

 

 

 

#12 

 

 

es ist nicht die erinnerung selbst, die man erinnert, vielmehr ist es jenes, das nicht minder bedenklich und aufdringlich an besonderer stelle hervorquillt, weil man eben verabsäumt hat es aus gutem grund abzudichten und an seinem hervorquellen zu hindern. doch meine erinnerung hat sich auf amouröse weise in mir verklebt und jeden austritt sorgfältig in mich zurückgequetscht. ein durchschnnittsmoment im museum würde so denkbar erträglich, wenn auch sichtlich gepresst. aber man bekommt ja sonst nichts zu gesicht, ausser der geschichtslosigkeit, die sich in einer unermesslichen explosion an indifferenz gegen die begehrlichen kunstwerke schleudert. da verteilt sich also die eintrittsvergünstigung auf widerwärtige weise über das objekt der kontemplation. nun können sich kunst und günstig bekünstelte aneinander verschmieren. disziplinierte an die front gejagte wandbepinselung. sie hängen mehr als sie stehen, die objekte der begutachtung, sie hängen in die blinzelnden frontallappen der kunstkonsument*innen. bilderwelten tun sich da nicht auf, bestenfalls fadenkreuze. die dummheit der beobachter*in besteht ja nur darin, es nicht für möglich zu halten, selbst ins visier zu geraten.

 

ich trete einen schritt zurück und wieder im kreis, um des schwindelgefühls mächtig zu werden, das sich beim betrachten der umstände einstellt. ein blick zu den vermittler*innen verrät, berühren verboten. aber nein, die kunst will angefasst und genötigt werden, sie hängt da mit nacktem arsch und gespreiztem blick an der wand und bohrt sich in das sinnlose verlangen nach ihr. sie nennen das legitimierten kunstgenuss, solange sie ihn nicht vollziehen. dabei lacht es sich tot, das bisschen musealisierte fleisch an der wand. ich kann ihnen die sehnsucht nach dem anständigen stück arsch an der wand nicht verübeln. ihr geist hat sich in den pigmenten bereits zurechtsediert, da hilft auch keine restauration mehr. aber ich habe es gesehen, dieses durchbrechende gesehen werden. weiter weg könnte ich gar nicht an sie herankommen, da müsste ich mich schon an ihnen stoßen. der schauraum hat sich gedreht, ich beobachte sie nur noch unter gleichgewichtsstörungen. selbstverständlich verabsäume ich keine gelegenheit zur entblödung, sie dürfen mir dabei auch gerne zusehen.

 

ich werde hier also anschaffen gehen müssen, im schauraum der institutionalisierten beobachtung, würge ich in mich hinein und vergesse darüber weiter zu gehen, als unbedingt nötig. die finger stehen mir bis zum hals, aber der liebreiz will sich nicht einstellen. wir sind aus der zeit, das kunstzeitalter ist vorbei und die aussertextsetzung hat sich zu tode gesabbert. selbst wenn sie sich fein säuberlich wundejakulieren am weißraum. hat man ihnen denn nichts gesagt, die freischaffende subversion wurde bereits vor jahren von unserem museum angekauft und wartet im depot auf gesicherten ausgang. nun nehmen sie schon den finger aus dem mund. wenn man nichts zu schaffen hat, dann geht man eben anschaffenen, hier. so muss es sein, man hat eben nicht genug gelitten, sich nicht hinreichend gequält, sich nicht qualvoll verreißen lassen, nichts durchgestanden, das künstlerisches schaffen überhaupt rechtfertigen würde. und ihr hass war auch nichts weiter als ein versuch der annäherung. 

 

 

 

 

#13

 

 

ich war doch noch so klein, aber meine sehnsucht war so riesig, dass ich nicht hineinpasste in sie, damals. inzwischen ist sie mit den übergroßen resten einer erinnerung an dich im schrank gesessen, und hat auf den moment gewartet zugeschnitten zu werden, von der zeit, zugeschnitten auf eine tragbare größe, eine größe, die richtig maß nehmen kann an mir, an dir, an der welt zwischen uns von einst. ich bin heute nacht beim wühlen in mir wieder auf sie gestoßen und habe sie ausgebreitet, die erinnerungsübergröße, die ich nicht loswerden konnte, weil sie jedes meiner körperenden überragte. ich möchte sie jetzt anlegen und sehen, ob ich gewachsen bin, herausgewachsen bin aus unserer kleinen übergröße der welt von damals und hineingewachsen in eine neue zeit. du fehlst.

 

 

 

 

#14

 

 

Mein »Haus des Selbst« hat sich gewandelt, die Portale sind rätselhaft verschlüsselt und bisweilen schwer zu lokalisieren. Was sich jedoch emuliert sind semiotische Architekturgebilde, polymorphe Schaltkreise und Visionen des Eintretens in obskure Arenen der Numerologien. Einsen und Nullen formieren rhythmisch schwammige Fundamente utopischer Gemeinplätze, nach denen es zu fahnden gilt. Mikroskopische Rasterpunkte »bepixeln« und bespitzeln zudem die Orte des anderswo, an die ich mich nicht heranwage, die ihr aber umso geometrischer zu infiltrieren begehrt. Doch außerhalb gibt es wohl längst keinen Raum mehr, der sich bereitwillig kolonialisieren oder biometrisch erfassen lassen will. Und dennoch eröffnen neue topologische Verpflanzungen die Sehnsucht nach Einverleibung des möglichen anderen Ortes, der sich nur artig bewohnen lassen soll. Aber mein heimeliges Innen ist mutiert und fordert andere Visualisierungspraktiken der Ankunft. Innen wie Außen werden zu Metaphern im hyperrealen Raum biomorpher »Kartographierungspraktiken«. Wo wohnt mein Selbst, das im Streugebiet der Interaktionsfelder hin- und her geschleudert wird? Die vermeintliche Selbstausschaltung bedient sich eines listigen Tricks. Der Ort des Aufenthaltes wird zum großen »karnevalesken« Ereignis der Affinitäten, während das babylonische Phantasma des zyklopischen »Einen« an dessen Monumentalität zugrunde geht. Die eine physikalische und scheinbar präexistente Natur erweist sich als Zerspiegelung meines Selbst. Sie ist zu einer Figuration und zugleich zu einem Aktanten ihrer Rekontextualisierung geworden.

 

Dem Ideal des architektonischen Vor- und Überbaus wird sie längst nicht mehr gerecht. Sie ist über das schlichtweg Materielle erhaben. Eine Neupositionierung des Selbst vollzieht sich, so scheint es, in Verhandlungsräumen, die sich in einer Kopplung und Verkörperung von lokalen Tropen ereignet. Dem griechischen Trópos zufolge, versteht sich meine Natur als Windung und Wendung, sie ist ebenso Artefakt, Bewegung, wie rhetorische Figur. Sie ist Handlungsspielraum und Ereignis in dem sich Welten eröffnen. Im Akt meines Beiwohnens aber vollzieht sich etwas sehr Spezifisches. Das Selbst schaltet sich frei in einen Raum der Mitspieler*innen, bewohnt diesen gleichsam durch jede Interpunktion, pünktlich durch jeden Impuls, mit jedem Wort. Es sendet Signale, verspricht Textkörper und Sinnkontexte, kodiert Bekenntnisse, dechiffriert Sehnsüchte, installiert Geborgenheit. Heidegger spricht von der Sprache als dem Haus des Seins, das als Sprache zu sich selbst kommt. Mein Selbst als FileExistence wird in solch einem Kontext zu einem Hochgeschwindigkeitsprotokoll vitalsten Informationsgehaltes. Längst ist auch der organische Körper in dessen Bestandteilen zu einem Sekundärraum geworden und das Selbst zur signifikanten Gattin meiner zirkulierenden Botenstoffe. Der Globus erfährt hier eine Art inverser Expansion, das Außen ist mir zum Nächsten geworden und der Kosmos der Innerlichkeit zum unendlich Horror Vacui. Nach der apokalyptischen Invasion des offenen Raumes, schreit man nun notwendig hysterisch nach Abnabelung vom archaischen Ursprungsmythos und der letalen Verheißung der totalitären Allmacht, um nicht in den Abgrund gerissen zu werden. Das Faktische manifestiert sich fragmentarisch in virtuellen Parallelräumen, die sich zu bestimmten Zeiten und unter spezifischen Bedingungen einander annähern oder kreuzen. Räume erscheinen und verlöschen an Kreuzungen im Gemenge der Signifikanten.

 

In einer Zeit der Implosion der Dualismen von Subjekt und Objekt, von Innen und Außen, von Idealismus und Naturalismus, von Künstlichem und Nichtkünstlichem, scheint nichts Originäres mehr lokalisierbar. Wir rekurrieren auf Simulakren und Hologramme, die zwar historisch, aber ohne Ursprung geblieben sind. Wie selbstlos darf ein partielles Selbst in solch nomadischen Zeiten sein, um überhaupt bestehen zu können? Wir werden zur virtuellen Ressource unserer selbst. Identität ist zu einer Applikation geworden, der jegliche anthropologische Konstante abhanden gekommen ist. Die Programmatik solch postmoderner Entwürfe des Selbst verheißt nichts Biblisches mehr. Die Arche Noah der Identitäten treibt längst nicht mehr an der Oberfläche des Sichtbaren. Unsere Hausboote und Bauwerke haben sich in uns verkrochen, bewohnen uns, treiben uns auf Reisen in ein ungeahntes Selbst, das unter die Haut geht. »Nanolabs« und »Mikrofluide« bilden exzentrische Highways des Lebens, generieren »Architanten« und »Archonauten« in den Weiten der Mikroozeane. Stellt sich hier nicht zwangsläufig die Frage nach einer Architektonik der Innerlichkeit? Der Himmel über uns ist zum Gesetz in uns geworden. Und welche Gesetze ermächtigen ein Selbst im integrierten Schaltkreis, das sich nirgendwo mehr befindet? Welche Prothesen zur Beschreibung einer neuen Optik werden obligat um ein solches Selbst nicht aus den Augen zu verlieren? Oder wird hier womöglich abermals die Herrschaft des »einen« stigmatisierenden Sichtfeldes veranschlagt? Wo entstehen die Visionen von Weltgebäuden, die längst nicht mehr nur eine vollkommene Welt beherbergen?

 

Wer sind die partialen und artefaktischen Demiurg*innen, die jeglichen Holismus scheuen und dennoch Netzwerkkolonien in interaktiven Zwischenräumen zu gründen vermögen? Ich befinde mich auf der Suche nach eben solchen A-Topoi, die eigenwillige Räumlichkeiten für Schnittperspektiven eröffnen, um zahllosen Akteuren an zahllosen Nicht-Orten, zahllose Spielvarianten zu ermöglichen. Der strukturierte Aufbau eines komplexen Ganzen hat sich als Architektur der Semantik von »Mikro-Größen« herausgestellt. Wir sind komplex interagierende Gebilde, die einander in jeder Sekunde, zu jeder Zeit, mit jedem Blick konstituieren. Mein Haus des Selbst beschreibt ein Modell der kreativen Selbstausschaltung, das einer Menagerie an Freischaltungen von Selbstentwürfen entsprechen will. Dabei verfalle ich gerne einem Gedanken, der nicht aufhören will, mich aus dem Diskurs der wissenschaftlichen Verbindlichkeiten und dessen Chargons der Uneigentlichkeit hinauszujagen. Und hier mag die volle Kontingenz meines Daseins zum tragen kommen, jede Ausschaltung der monströsen Narrative, die alles an mir zu einem Produkt der großen Perioden verkommen lassen, erweist sich als essentielles und gleichsam unvermeidliches Vermächtnis.

 

 

 

 

#15

 

 

Hört, meine Geschichte muss aufhören die Geschichte aller zu sein. Sie werden sich so aber keinen Zutritt zu unserer Ewigkeit verschaffen, haben sie dann gesagt, die, die sich an Größeres erinnern als ich. Lernen Sie das endlich zu begreifen, haben sie gesagt, und fangen Sie an anständig zu deduzieren. Sie dürfen das Besondere nicht mit dem Substantiellen verwechseln, es ist nichts weiter als die kleine trotzige Schwester eines Anmaßung, der sie noch nicht gewachsen sind. Sie werden sich alles verbauen, also sagen sie endlich das Richtige. Wir haben auch schon alles für sie angerichtet und würdevoll zugerichtet. Das kann ihnen doch nicht Nichts bedeuten. Verkleistern sie sich nicht ihre Zukunft, bisher hatten wir sie noch anständig für sie offen gehalten. Ja, wir warten hier auf sie, auf der Anrichte zum Großartigen. Was darf es sein, ein Zirkel zur Übermalung ihres Umkreises, der sich davonstiehlt, oder der Schlagbohrer, den wir nun dem Vorschlaghammer vorziehen, um effizienter Hohlräume in ihre abgewohnten Argumente zu stemmen. Wir werden Ihnen einen lukrativen und denkbar gut verputzten Kostenvoranschlag verschreiben, aus dem sie sich nicht herauswinden und von dem sie sich bestimmt nicht erholen werden, so viel ist sicher. »Human Approach Architecture«, wir »Argeomanten« eines neuen Zeitalters bringen ihr mentales Gerüst schon wieder in Form. Ein wenig »bionische Grammatik« und die Gymnastik des zeitgemäßen Denkens ist an ihnen wieder zurecht moduliert. Bedenken sie die hochmodernen Wohnkomplexe im Zentrum des Lebens, Eugenik der ergonomischen Art. Herausragend, wie sich ihre Bedürfnisse mit dem posthumanen Design synthetisieren lassen. Wir setzen nicht mehr auf Linien, die Hexis des neuen polymorphen Selbst basiert auf Vektoren, wir injizieren mit beinahe 100% Wahrscheinlichkeit die richtige Laufbahn. Verstehen sie, wir setzen alles auf ihre »Ausrichtung«! Der Weg ist unwesentlich, wir formatieren sie derart, dass ihnen jede Anreise erspart bleibt. Was sagen sie dazu?